Das Münchner Blow up war gesteckt voll, der Vorgruppe Southern Comfort fiel andauern die Verstärkeranlage aus, für eine halbe Flasche Bier musste man 2,20 Mark bezahlen, und als Johnny Winter endlich auftrat, hatten die meisten bereits drei Stunden gestanden, aber sie standen gern noch zwei weitere Stunden, denn Johnny Winter bewies, dass er mit seiner neuen Gruppe And zu den besten Rockmusikern zählt, die man zur Zeit aus Amerika hören kann. Der Albino aus Texas, weißblonde Haare bis weit über die Schultern, die lichtempfindlichen Augen fast völlig geschlossen, mit gezierten Bewegungen, schwarzer Kleidung und silbernen Schmuck, sieht so grotesk aus, wie man sich einen Narren bei Hofe vorstellt. Früher war er ein Solist, der allein oder mit seinem Bruder Edgar und unauffälligen Begleitmusikern gespielt hatte, ein Exponent des harten, weißen Blues, heute hat er sich ganz der Gruppe integriert, die sich zum Teil aus Mitgliedern der alten McCoys zusammensetzt.
In Rick Derringer hat er einen zweiten Lead-Gitarristen, mit dem er vorzügljch zusammen spielt, ohne, wie das dem Trend der augenblicklichen amerikanischen Pop-Musik entsprechend würde, dieses Zusammenspiel den starren Regeln vorher bis ins letzte Detail festgelegter Arrangements zu unterwerfen. Natürlich, und das glauben alle Stars dem Publikum schuldig zu sein, hatten beide ihre große Solonummer, Rick Derringer einen zerfetzenden Rock and Roll und Johnny Winter einen unglaublich virtuosen und doch nicht synthetisch artifiziellen Blues, wie man ihn von seinen früheren Platten kannte. Der Beat-Schuppen-Atmosphäre des Blow up entsprechend spielte Johnny Winter nur während etwa eines Drittels seines zweistündigen Konzerts die Musik, die man von seiner letzten Langspielplatte her kannte, vitalen, auf lange Dialoge zwischen den beiden Gitarren aufgebauten Blues und Rock. Eingeleitet durch Jumping Jack Flash von den Rolling Stones spielte er den Rest der Zeit und eine ausgiebige Zulage lang harten Rock and Roll, ohne sich viel um die ehemals so starren Regeln dieser frühesten Gattung der Pop-Musik zu kümmern.
Zeitweilig kam beste Jam-Stimmung auf, und dann war es ganz deutlich zu spüren, wie diese Gruppe ihr Zusammenspiel aus dem Musizieren selbst findet und nicht vorher auf dem Notenpapier ausklügelt. In solchen glücklichen Momenten, die es im ersten Teil des Konzertes bei den ausimprovisierten Dialogen der beiden Lead- Gitarren auch gegeben hatte, konnte sich auch das Publikum ganz in diese Musik einbezogen fühlen
